Ich bin dann mal weg! 

… oder das etwas andere Rasseportrait aus Sicht eines Beaglebesitzers

Am 04. Dezember 2000 erblickte ein Wurf Beaglewelpen in einem Labor der Uni München das Licht der Welt. Als sie 3 Tage alt waren, hielt ich sie das erste Mal in meinen Händen. Der Wurf war für einen Versuch zur mutterlosen Welpenaufzucht bestimmt und sollte dann mit 16 Wochen vermittelt werden. „Ganz süß", dachte ich, "aber nicht mein Problem"‚ denn mit der Rasse "Beagle" assoziierte ich sofort 3 Eigenschaften, auf die ich nicht wirklich scharf war: Sturheit, Verfressenheit und ein nicht zu unterschätzender Jagdtrieb. Weil ein Beagle auch rein optisch überhaupt nicht mein Fall war, dachte ich „Puh, der Kelch geht diesmal an mir vorüber und ich laufe nicht wieder Gefahr, schwach zu werden und irgendeinen armen Hund einzusammeln!" Natürlich kam alles mal wieder ganz anders...

An Neujahr fiel in dem Pferdestall, in dem die Welpen untergebracht waren, eine Wärmelampe ins Stroh und der Stall brannte ab – und mit ihm meine Pläne, niemals eine Beaglebesitzerin zu werden. Ein Pferd und ein Welpe überlebten den Brand nicht, der Rest hatte „nur" eine Rauchvergiftung - bis auf die kleine Andra, der die Flammen ein großes Loch vom Nacken bis zum Schwanz in den Rücken brannten. Und so kam es, dass die kleine Beagleine im Alter von gerade mal vier Wochen ohne Geschwister und mutterseelenalleine in der Klinik saß und um ihr Leben kämpfte … Und unser gemeinsames Schicksal nahm seinen Lauf. Mitleid und die Kindchenschema-Falle schlugen auch bei mir zu und so kam ich am 09. 01. 2003 mit einem Beaglechen aus der Uni heim, weil ich dachte, medizinisch versorgen kann ich sie auch zu Hause. Vor allem hatte sie hier noch einen Hund, an dem sie sich orientieren konnte und sie säße nicht in der wichtigsten Zeit im Leben eines Hundes alleine in der Klinik im Käfig ... Natürlich stand außer Frage, dass sie vermittelt wird, sobald sie gesundheitlich über den Berg ist, denn das war die Auflage von meinem Freund und meinen damaligen vier WG- Mitbewohnern und außerdem wollte ich ja keinen Beagle!
Zu Hause angekommen, schlich sich diese Hand voll verkohltes Etwas natürlich sofort in die Herzen aller (überraschenderweise inklusive meiner eigentlich sehr wählerischen Althündin) und wickelte sie um „den Finger", bzw. um die kleinen Speckbeinchen. Bereits am zweiten Tag gab uns die Kleine eine Kostprobe der dem Beagle nachgesagten Sturheit, weil sie einfach nicht kapieren wollte, dass am Ende des Hochbettes der Absturz steht. Immer wieder lief sie einfach über die Kante hinaus und segelte in die Tiefe und hatte damit bei meinen Mitbewohnern sofort den Kosenamen „Kamikaze" weg. Der ist ihr bis heute geblieben und sie macht ihm nach wie vor alle Ehre!
Andra ging es zusehends besser, die Wunde auf dem Rücken wurde immer kleiner, der Appetit immer größer und der kleine Wonneproppen gedieh prächtig. Die Zeit verging ... „und niemand stand plötzlich vor der Türe und wollte den Beagle haben ... "
Im ersten halben Jahr verlief alles überraschend unkompliziert. Da mir die Probleme mit einem Beagle bekannt waren, lief Andra draußen ausschließlich an der Schleppleine. Wir arbeiteten viel mit dem Klicker und sie wurde ein richtiger Vorzeigehund. Doch dann kam, was wohl kommen musste ... Ich vertraute ihr und ihrem Können zu früh, wurde leichtsinnig, weil ich dachte, Andra ist „DER ANDERE BEAGLE" und ließ parallel zur Schleppleine auch die Erziehung schleifen … Und das Drama nahm seinen Lauf: Ein einziger Ausflug alleine reichte und alles bis dahin Gelernte war wie weggeblasen. Ab diesem Moment war Andras einziger Lebensinhalt, mich auszutricksen und stiftenzugehen. Das war das 1:0 gegen mich, denn reiche einem Beagle den kleinen Finger und er wird die ganze Hand packen! Das wusste ich aber damals noch nicht und war viel zu gutgläubig und vertrauensselig und außerdem der Meinung, dass das arme Tier sich ja auch mal ohne Leine austoben muss. Dadurch gab ich ihr immer wieder die Möglichkeit, ihr selbst belohnendes Verhalten zu festigen und weitere Teilsiege gegen mich zu erringen. An der Isar wurde ich schnell zur Frau „Haben-Sie-einen-Beagle-gesehen?" Aber auch Frauchen lernt ja dazu und so versteckte ich zeitweise einfach meine zweite Leine in der Hosentasche, so dass auch ja niemand auf die Idee kam, dass ich ja eigentlich mit zwei Hunden unterwegs sein müsste. Außerdem lernte ich, dass ein Beagle mindestens sieben Leben haben muss. Manchmal dauerte es ewig lange bis Andra wieder auftauchte. Ich „drehte nur noch am Rad" und bastelte in Gedanken sehr viele kleine „Beagle-Voodoo-Puppen". Doch dann stand sie jedes Mal wieder unversehrt und guter Dinge und mit einem voll gefressenen Bauch vor der Türe ... und meine ganze Wut war mit einem Blick in ihre wunderschönen dunkelbraunen Beagleaugen schnell verflogen. Ich bin inzwischen zu der festen Überzeugung gelangt, dass der liebe Gott – oder wer auch immer – Hunden diesen bestimmten Blick mit auf den Weg gab, um sie alle (durchaus berechtigten!) Wutanfälle ihrer Besitzer unbeschadet überstehen zu lassen. Andra heißt bei uns zu Hause, wegen dieses Blickes, auch „Glotzkowski".
Aber ich will meinen Beagle ja nicht nur schlecht reden, Andra hat auch gute Eigenschaften. Sie ist immerhin ein sehr ordentlicher Hund: damals musste ich starke Medikamente wegen einer Darmentzündung nehmen. Als ich eines Tages von der Uni nach Hause kam, sah ich eine komplette Packung der Tabletten zerfleddert herumliegen – eine Pille spuckte sie mir noch schuldbewusst vor die Füße. Was tun? Panik machte sich breit, denn ihre „sieben Leben" hatte sie ja schon lange aufgebraucht! Also nix wie in die Uniklinik, wo das Beaglechen gleich Apomorphin, das beim Hund einen Brechreiz verursacht, verabreicht bekam. Das zeigte prompt seine Wirkung und ich dachte, ich sehe nicht recht, als das Beagletier anfing, exakt 7 Löcher in den Garten der Uniklinik zu buddeln, sich ordnungsgemäß dort hinein übergab und die Löcher dann pflichtbewusst wieder zu schaufelte! Als ich mich umdrehte sah ich noch das gesamte Klinikpersonal grinsend am Fenster stehen. Wenn‘s darauf ankommt, weiß sie sich also zu benehmen und außerdem hat ein Beagle offenbar deutlich mehr als nur sieben Leben!
Mich kostete Andra in ihrem jugendlichen Leichtsinn einige Nerven und bestimmt auch ein paar Jährchen meines Lebens. So auch, als ich eines Abends - zugegebenermaßen nicht ganz nüchtern - vom Feiern in unsere WG im 1. Stock nach Hause kam und in der Wohnung nur noch einen Hund und ein offenes Fenster vor fand. Auch nachdem ich die ganze Wohnung auf den Kopf gestellt hatte, blieb Andra wie vom Erdboden verschluckt. Meine Mitbewohner halfen mir bei der Suche im strömenden Regen nachts um 03.00 Uhr, aber ohne Erfolg … der Beagle blieb verschwunden. Meine Panik steigerte sich, als mir eine befreundete Nachbarin erzählte, dass „irgendein Tier" vor ein paar Stunden den ganzen Häuserblock wach geschrieen hätte. Erst am nächsten Morgen stellte sich heraus, dass ein anderer Nachbar Andra nach ihrer Flucht durch das Fenster draußen aufgegriffen und ihr über Nacht Asyl gegeben hatte, ohne einen Ton zu sagen! Auch hier war das Glück wieder auf ihrer Seite und sie kam mit einigen harmlosen Prellungen davon (Leben Nr.?) Eigentlich sollte man ja meinen, dass auch ein Hund etwas aus so einem Vorfall lernt - nicht so mein Beagle! Jahre später hat sie es im Allgäu fertig gebracht, über den Balkon (auch wieder 1. Stock) zu flüchten und sich mit ihren besten Freunden, den Hasen und Rehen, einen schönen Tag auf dem Land zu gönnen - ich glaube Sommerfrische nennt man so etwas ...
Den Vogel abgeschossen hatte sie aber mit folgender Aktion: Ich war im Urlaub in Italien und hatte meine beiden Hunde einer Freundin anvertraut- natürlich mit der strikten Auflage, Andra nicht von der Schleppleine zu lassen! Andra zeigte sich eine Woche lang von ihrer Honigseite, und wiegte meine Freundin solange in Sicherheit, bis diese die Leine schleifen ließ ... Und wieder einmal war Andra von jetzt auf gleich wie vom Erdboden verschwunden. Sofort wurde eine große Suchaktion gestartet, die Polizei informiert, Zettel aufgehängt, Leute befragt. Im Radio wurde sogar eine Suchmeldung durchgegeben … alles ohne Erfolg. Ich saß derweil heulend in Florenz und wurde mit jeder Stunde die verging sicherer, künftig nur noch einen Hund zu haben, denn so lange war sie bis zu diesem Tag noch nie verschwunden. Gegen Abend rief meine Freundin noch einmal bei der Polizei an und hatte das Glück, diesmal einen Beamten an der Strippe zu haben, der endlich auch weitergab, dass einer Frau bereits morgens ein Beagle zugelaufen war. Als die Freundin dann Andra abholte, stellte sich heraus, dass sie gleich in der Früh auf dem Zooparkplatz in ein wildfremdes Auto gestiegen und mit nach Grünwald gefahren war. Dort hatte sie den wahrscheinlich lustigsten Tag ihres Lebens, war der Star auf einem Kindergeburtstag, bekam Geburtstagskuchen, durfte am Würstelschnappen teilnehmen (das hat sie bestimmt gewonnen!) und hieß ‚Gina‘. Ich war heilfroh und dankbar, dass ich meine ‚Kamikaze-Gina‘ am nächsten Tag, als ich aus dem Urlaub kam, wieder in die Arme schließen durfte!!!
Das alles sind nur ein paar der Geschichten, aus dem Leben eines Beagles. Alle größeren und kleineren Katastrophen niederzuschreiben, würde ein ganzes Buch füllen!
Durch Andra habe ich gelernt, so korrekt wie möglich zu arbeiten. Ein „vielleicht" oder „probieren" gibt es beim Beagle nicht. Wenn man nicht 1000%ig hinter dem steht, was man möchte, sieht der Beagle seine Chance. Wenn ich z. B. beim Agility auch nur einmal falsch führe, weil ich es wieder nicht schnalle (Sorry Andra!), bleibt sie vor der ersten Hürde sitzen, schaut mich mit ihren großen dunkelbraunen „Kajal-Augen" an und ich kann ihre Gedanken lesen: „Mach doch deinen Sch*** alleine!" Das Agility-Training ist für den Tag dann gelaufen, denn auch ein Beagle ist konsequent. Und genauso ist es auch im alltäglichen Leben: Ein Beagle verzeiht keine Fehler, bzw. nutzt sie sofort für seine eigenen Zwecke, leider! Doch in all den Jahren habe ich gelernt, mich darauf einzustellen und noch konsequenter zu werden und vor allem noch einen Tick sturer zu sein, als Andra.
Und nun die gute Nachricht: Auch ein Beagle wird eines Tages erwachsen und vernünftig, natürlich nur nach langem und konsequentem Training, obwohl das fortschreitende Alter bestimmt auch das seine dazu tut.Meinen Hund kann ich inzwischen aus vollem Galopp stoppen und ihn sogar (zu 99%) von Hasen und Rehen abrufen. Wir haben die Begleithundeprüfung abgelegt, obwohl Eichhörnchen auf dem Platz herumirrten und mein „Allrounder" liebt wie ich Unterordnung, Fährte, Agility und Klicker-Training. Und vor kurzem durfte sie sogar ihre erste Rolle in einer Fernsehserie spielen.
Es hat zwar lange gedauert und viele Nerven gekostet, aber mittlerweile weiß Andra, dass ein ‚Nein‘ ein ‚Nein‘ ist und bleibt.
Inzwischen habe ich fast fünf Jahre darauf gewartet, „dass endlich jemand kommt, der den Beagle will" – das reicht, wer jetzt noch kommt hat Pech gehabt! Meinen Beagle gebe ich nie mehr her!!!