Mit der Kuh auf Du....

 ... aus dem Leben einer Viehdoktorin....

Okay, zugegebenermaßen haben Kühe nicht wirklich viel mit Hunden gemeinsam- außer vier Beinen vielleicht-  aber beide lassen mein Herz höher schlagen. 
Bereits im Praktikum hat es mich in eine Rinderpraxis im Ostallgäu verschlagen und schon nach diesen 3 Monaten stand für mich fest, genau das ist es, was ich mal machen will!

Da traf es sich gut, dass mein Chef aus eben jener Praxis mir direkt nach der Uni meine erste Stelle als Anfangsassistentin anbot. Ohne lange überlegen zu müssen sagte ich sofort zu und zog mit Sack und Pack und meinen 2 Hunden von der Großstadt München ins sehr, sehr ländliche Allgäu, um in 
eine für mich damals fremde Welt und ein großes Abenteuer einzutauchen. An der Uni sind mir zwar schon Kühe von Nahem begegnet, aber Ahnung hatte ich ehrlich gesagt nicht wirklich. Dafür das Glück, im Allgäu auf sehr offene Bauern zu stoßen, die mir von Anfang an einen großen Vertrauensvorschuss gaben und offenbar der Meinung waren, wenn eine Großtierärztin "aus der Dachrinne saufen" kann (Gardemaß 1,87m), dann muß sie auch ein Händchen für Kühe haben. Und so wurde ich ins kalte Wasser geworfen und musste sehen, wie ich zurecht komme. Und das klappte überraschend gut, wenn man von kleineren Katastrophen und anfänglichen Verständigungsschwierigkeiten absieht. Woher sollte ich denn auch zB wissen, dass der Nachbarort "Texas" heißt? Das hatte mir keiner gesagt und so kam es an einem meiner ersten Tage zu folgender netter Begebenheit am Telefon:
Ich: "Tierarztpraxis Klarer, Sophie hier."
Bauer: "Linder, Texas, wir haben eine Kuh zum Besamen."
Ich: "Oh, ich weiß jetzt nicht, ob wir so weit fahren...!"
Dieser Bauer schmunzelt heute noch, wenn er mich sieht.
Ähnlich ging es mir mit meinem ersten "Igel". Keiner hat mir gesagt, dass man eine Klauenentzündung bei der Kuh (Panaritium) im Allgäu so nennt, also habe ich - sehr zur Verwunderung des Bauern!- diesen  in die Kleintierpraxis bestellen wollen, als er am Telefon eine Igel-Behandlung wünschte..
Aber die Allgäuer haben zum Glück eine sehr offene Art allen Fremden gegenüber-  und für viele Bauern ist alles fremd, was von weiter als 50km von den Bergen her kommt-  auch wenn sie in vielem sehr eigen sind. Treffender als mit diesem Original-Gespräch zwischen einer alten 
Allgäuer Urgesteins-Bäuerin und meinem Kollegen aus von der Waterkant kann man diese Art nicht beschreiben. Sönke kam am Nachmittag mit einem "Moin, Moin" in den Stall und die Bäuerin fragt ihn, wo er denn her kommt. Sönke antwortet "aus Schleswig-Holstein" und die Bäuerin meinte daraufhin: "Ah! Ein Ausländer...aber das macht nix, wir sind ja tolerant!"
Auch fachlich war am Anfang manches sehr hart, praktische Erfahrungen hatte ich ja nicht zu bieten. Also blieb mir nur die "Augen-zu-und-durch-Taktik" und ich stand so manches mal ziemlich ratlos vor der Kuh (was der Bauer natürlich nicht merken durfte!)...
Nie vergessen werde ich meine erste Geburt; eigentlich wurde ich zu einer verwerfenden Kuh geschickt und mein Chef meinte, probiere mal, ob du das tote Kalb irgendwie raus bekommst. Gut, dachte ich, da kann ich ja nicht mehr viel kaputt machen und bin voller Tatendrang an die Arbeit gegangen- um dann völlig schockiert fest zu stellen, dass das tot geglaubte Kalb Reflexe zeigte und alles andere als tot war! Was tun? Mir blieb nichts anderes übrig, als das erste mal Geburtshilfe zu leisten- und ein lebendes Kalb auf die Welt zu bringen! Es war ein Kuhkalb und wurde Sophie getauft:-) Seither habe ich hunderten von Kälbern auf ihrem Weg ins Leben geholfen, aber eine Geburt wird immer ein kleines Wunder für mich bleiben! Es ist zwar jedes mal grausam, wenn in der Nacht das Telefon klingelt (Kühe kalben bevorzugt nachts und wenn ich Dienst habe) und ich dann vom 20°C warmen Bett in die zum Teil -20°C kalte Nacht hinaus muss, aber wenn man dann nach stundenlanger, sehr harter und Kräfte zehrender Arbeit (es ist nicht wirklich einfach, ein 40-90kg-Kalb in der Kuh in die richtige Lage zu bringen!) das erste Blöcken eines neugeborenen Kalbes hört und die Kuh auch wohlauf ist, dann weiß man, dass es sich gelohnt hat!
Oder wenn man stundenlang  versucht, Lämmer im engen Mutterleib zu sortieren und überhaupt nicht mehr weiß, welcher Kopf zu welchen Beinen gehört, wieviele es sind, wo man überhaupt ziehen muss - und dann am Ende vier quietschfidele Vierlinge um sich herum springen hat. Dafür liebe ich meinen Job! Manchmal läuft es natürlich auch anders, und man muss z. B. Tote Kälber im Mutterleib zersägen, weil sie sonst nicht raus gehen, aber auch das gehört dazu und damit muss man sich als Tierarzt leider abfinden...
Meine erste Schweinegeburt war auch ein Erlebnis: Ein Ferkel lag quer im Geburtskanal und ich dachte mir nichts Böses und wollte die Lage berichtigen, als ich auf einmal merkte, dass die Sau anschwoll und ich meine Hand da nicht mehr raus bekam! Ich sah mich schon mit der Sau am Arm 
beim Metzger- und nebenbei galt es noch, sich vor dem Bauern keine Blöße zu geben und gute Mine zum bösen Spiel zu machen! Aber durch eine glückliche Fügung gelang es mir nach endlos erscheinenden Minuten dann doch,  meinen Arm mitsamt Ferkel wieder zu befreien. Die anderen 9 sind dann zum Glück einfach so hinterher geflutscht und haben schon nach wenigen Minuten wie kleine Magnete am Gesäuge der Sau angedockt und genüsslich vor sich hin geschmatzt.
Natürlich beschränkt sich meine Tätigkeit nicht nur auf Geburten (das würden auch die stabilsten Schultern auf Dauer nicht mitmachen!), es fallen auch jede Menge Routinearbeiten wie Impfungen, Besamungen (Standardspruch am Telefon: Ich kann gerade nicht, ich stecke wieder in der Kuh!), Blutproben nehmen etc an. Einen Großteil machen auch kranke Kälber und Kühe aus-  auch da ist es jedesmal schön, wenn man ein mehr tot als lebendiges Durchfall-Kalb an den Tropf hängt und wenn man am nächsten Tag auf den Hof kommt, steht und säuft es wieder. Oder wenn man mehrmals täglich zu einem eigentlich chancenlosen, 5 Wochen zu früh geborenen 12kg-Kalb fährt und es dann entgegen aller Erwartungen doch durch bringt.
Für mich ist der Beruf der Großtierärztin trotz aller widriger Bedingungen wie Nacht- und Wochenenddienste, harter Arbeitszeiten, schwerer körperlicher Arbeit, vieler Gefahren (Kuhhörner können echt weh tun!) und einem mageren Gehalt eine Erfüllung!
Außerdem muss ich mir dafür um mein leibliches Wohl nur noch selten Gedanken machen- meine Bauern honorieren mir gute Arbeit gerne mit einem Mittagessen, Eiern, Honig, Gemüse, und was der Hof sonst noch so her gibt. Einmal hat mir ein Bauer nach einer ewig langen Geburt zur Stärkung eine Wurst mit den Worten "das ist die Resi, die hast du auch schon behandelt" in die Hand gedrückt. Mahlzeit!
Und nach jeder gelungenen Geburt gab es im Allgäu immer einen Schnaps- Tradition muss sein! Schwierig wurde es nur dann, wenn ich mal wieder drei oder mehr Geburten in einer Nacht hatte, aber bisher bin ich jedes mal wieder heil zu Hause angekommen...
Ja wohl, ich bin gerne und mit Leib und Seele ein "Gummistiefel", wie uns mal ein Kollege aus der Humanmedizin über Funk betitelt hat, als wir wieder auf der selben Frequenz funkten und er vor lauter Igeln, Texas und Co seine Arzthelferin nicht mehr verstanden hat.
Ich arbeite gerne draußen, mag es, mich körperlich aus zu powern, komme herum und habe mit Menschen und Tieren zu tun, darf täglich Kühen in ihre wunderschönen Augen schauen und denke außerdem, dass die Nutztiere, noch viel mehr als Haus- und Heimtiere, eine Lobby und jemanden, der sich um ihr Wohl kümmert, nötig haben. Und darum kommt für mich nichts anderes in Frage. 
Wenn ich den ganzen Tag in einer Kleintierpraxis stehen müsste, würde ich vermutlich eingehen...

Mein Fazit: Großvieh macht auch Mist- aber sehr schönen!!!